SCHULKINOKRITIK

Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush

Eine Filmkritik von Sam, 21 Jahre, Klasse BFG21, Georg-Simon-Ohm-Berufskolleg in Köln

Spielfilm, Deutschland, Frankreich 2022, 118 min.

<p>Das Bild ist eine Nahaufnahme von Rabiye Kurnaz. Sie ist rechts im Bild, steht im Wohnzimmer und trägt ein blaues Oberteil. Sie hält ein Telefon an ihr Ohr und guckt angespannt und schockiert. In der linken Bildhälfte sieht man hinter ihr ihre zwei jüngeren Söhne im Raum stehen. Sie gucken ihre Mutter verdutzt an. Im Hintergrund sieht man einen Deko-Banner mit der Aufschrift „HAPPY BIRTHDAY“.</p>
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4 von 5 Sternen
Institutioneller Rassismus ist in unseren Gesetzen verankert und das auch schon vor 20 Jahren.

Auf der Berlinale am 12.02.2022 vorgestellt, am 28.04.2022 uraufgeführt und zwei Monate später von zehn Nominierungen drei Auszeichnungen beim Deutschen Filmpreis erhalten. Der Regisseur Andreas Dresen leistete sich einen vollen Erfolg mit seiner Verfilmung der spannenden und sehr menschlichen Geschichte von Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush. Möglich machten dies Laila Stieler als Drehbuchautorin sowie Melten Kaptan und Alexander Scheer in den Hauptrollen, welche beide von den tatsächlichen Figuren der Geschichte unterstützt wurden und für ihre Schauspielleistung ausgezeichnet wurden. Gemeinsam haben sie es geschafft ein großes Problem in unserer deutschen Gesellschaft anzusprechen, denn: Eine bittersüße Geschichte nimmt ihren Lauf, weil Rabiye Kurnaz Türkin ist.

 

Es ist der 11. September 2001. Zwei Flugzeuge stürzen in das World Trade Center in New York City. Kurz darauf begibt sich Rabiyes Sohn Murat Kurnaz auf eine Reise nach Pakistan, um seinen religiösen Wurzeln auf den Grund zu gehen. Plötzlich wird nach ihm gefahndet und für ein Kopfgeld von 3000 Dollar übergibt man ihn an die US-Streitkräfte. Er soll mit den Terroranschlägen in Verbindung stehen und wird im Gefangenenlager Guantanamo in Kuba interniert. Auf der anderen Seite steht seine Mutter, die Bremer Hausfrau Rabiye Kurnaz, die schockiert und bangend versucht ihren Sohn zu erreichen. Sie wendet sich später an den Menschenrechtsanwalt Bernhard Docke, noch nicht ahnend, dass sie und er sich die nächsten fünf Jahre durch das deutsche und amerikanische Rechtssystem werden kämpfen müssen. Die beiden trotzen allen Widrigkeiten und das alles nur für eine gerechte Anhörung von Murats Fall. Vom deutschen Vizekanzler über den türkischen Minister schaffen sie es am Ende bis hin zum Supreme Court und klagen gegen den amerikanischen Präsidenten. Das stellt sich nicht nur als Herausforderung für Rabiyes Familie dar, auch ihre und Bernhards Geduld werden auf die Probe gestellt. Mit seiner besonnenen Art und Rabiyes unkonventionellem Handeln machen sie das Unmögliche möglich.

 

Der Grund, warum man weiterschauen möchte, ist die außergewöhnliche Erzählweise der Geschichte. Sie wird elliptisch erzählt und wenn Zeit vergeht, wird es dem Zuschauer nicht mit einem Datum, sondern mit einem Schwarzbild und der Anzahl der vergangenen Tage dargestellt, was auf mich eindrucksvoller und bedrückender wirkt. Wir schauen uns den Film nicht nur als Zuschauer an, sondern ausschließlich durch die Augen von Rabiye Kurnaz und wie sie dem harten Schicksal ihrer Familie mit Humor begegnet.

Dies ist vor allem Meltem Kaptans Schauspielleistung zu verdanken. Mit ihrer Erfahrung als Comedienne haucht sie in ihrem Schauspieldebüt der Rolle – neben der verwechselnden Ähnlichkeit zur echten Rabiye – sehr viel von ihrem eigenen Charakter ein. Auf ihrer Reise, gezeichnet von Rückschlägen, hebt sie die Laune des Zuschauers immer wieder mit ihrer lustigen Art an, jedoch wirkt sie manchmal auch unbeholfen, beispielsweise am Geburtstag ihres zweiten Sohnes. Sie und die anderen Schauspieler*innen wirken in dieser Szene, als hätten sie den Text kurz vorher abgelesen und müssten sich an diesen während des Schauspiels erinnern. Dennoch hätte ich gerne mehr von der Rolle des Ehemannes Mehmet und des Sohnes Murat gesehen, aus deren Perspektive die Geschichte leider kein einziges Mal erzählt wird.

Des Weiteren empfinde ich die Musik auch als sehr authentisch und gut ausgewählt. Es wurde sich an türkischer Musik orientiert und kommt jedes Mal bei positiven Situationen oder Errungenschaften vor, bei Rückschlägen wird meistens traurig-ruhige Musik eingesetzt. Diese brachte mir sowohl gute, als auch schlechte Laune, je nachdem wie Rabiye sich in dem Moment fühlt. Dramaturgisch wird so die Geschichte durch die Musik ergänzt. Das liegt daran, dass der klassische Aufbau eines Dramas gebrochen wird, da die Spannung im Wechsel steigt und fällt, je nachdem ob Rückschläge oder Erfolge zu vermerken sind und ob Rabiye humorvoll oder ernst damit umgeht. Deswegen wirkt es manchmal so für mich, als könne sich der Film nicht ganz entscheiden, was er sein möchte. Es fühlt sich wortwörtlich wie eine Berg und Talfahrt an. Das empfinde ich aber als sehr positiv, weil sich der Film an der wahren Begebenheit orientiert.

 

Was diesen Film für mich besonders macht, ist, dass er eine sehr differenzierte Perspektive auf türkische Identität im Bezug auf Rabiyes Charakter einnimmt und auch hinterfragt. Auf den ersten Blick ist das Zitat „Geh‘s an wie ein Türke, aber bring‘s zu Ende wie ein Deutscher“ von Rabiye eine prägnante Zeile die im Kopf bleibt, aber was genau sagt der Film damit aus und ist das ein Problem? „Geh’s an wie ein Türke“ wird im Film durch Rabiyes Fehlverhalten im Straßenverkehr, ihre unangenehme Aufdringlichkeit, ihr Auflehnen gegen die gegebenen Gesetze oder das Nicht-Einhalten von Terminen dargestellt. Hier wird also negatives Handeln mit „türkisch sein“ assoziiert, jedoch stellt sich aber auch die Frage, was ihrer Rolle sonst übrig geblieben wäre.

Das Hinterfragen türkischer Identität regte mich an darüber nachzudenken, welche Rolle die Rechtssysteme der deutschen, türkischen und amerikanischen Regierung spielen und ob diese rassistisch dargestellt werden. Ich stellte fest, dass institutioneller Rassismus diese Geschichte formt und durch die Darstellung der Regierungen als unüberwindbare Hürden besonders hervorhebt. Bestärkt wird das ganze durch Rabiyes Fragen an Bernhard „Warum lassen sie Murat nicht frei? Weil er Türke ist? Deshalb?“. Für mich fühlte es sich so an, als würde Rabiye den Zuschauer direkt fragen und zum Nachdenken anregen. Das Festhalten von Murat ohne Beweisgrundlage durch die amerikanische Regierung und die Vorenthaltung von Informationen oder das Erschweren der Einreise durch die deutsche Regierung sind Beispiele aus dem Film, in denen der institutionelle Rassismus deutlich wird. Der Staatsanwalt im Falle Kurnaz zeigt als Antwort auf die Frage, wer vor der Einreise von Murat „schiss“ habe, nur mit einem Finger nach oben, was symbolisch für „die da oben“ steht, beziehungsweise für die Regierung. Das Gesetz ist nicht auf Rabiyes Seite, weshalb sie gegen das Unrecht ankämpft. Ihr Handeln ist unkonventionell und manchmal zu kritisieren, aber genau das macht die Geschichte so menschlich. Es fühlt sich sehr echt an und man fiebert so sehr mit, dass man auch am Ende froh und erleichtert ist, dass Rabiyes Kampf gegen das Gesetz und die Geschichte zu Ende gingen – und das ist positiv gemeint.

Der Film überzeugt also vor allem mit dem Schauspiel und insbesondere der Erzählweise. Andreas Dresen als Regisseur und Meltem Kaptan als Hauptdarstellerin beweisen uns, dass man ein ernstes Thema mit dem richtigen Humor zu einer gelungenen Dramödie umsetzen kann. Genauso zeigt uns der Film aber einmal mehr auf, dass institutioneller Rassismus real und der Kampf gegen solche Systeme noch lange nicht gewonnen ist.

Fazit

Der Film hat mich nicht nur persönlich angesprochen, sondern auch auf die Reise von Rabiye und Bernhard mitgenommen. Ich bin positiv davon überrascht, dass er nicht nur eine Geschichte erzählt, sondern - auch wenn es nicht die Intention sein muss - einen bildungspolitischen Auftrag erfüllt. Daher empfehle ich „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ sowohl allen Jugendlichen unserer Gesellschaft, als auch allen, die dem Ernst der Realität mit etwas Humor begegnen möchten.

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FILMDATEN

Regie: Andreas Dresen

Drehbuch: Laila Stieler

Kamera: Andreas Höfer

Schnitt: Jörg Hauschild

Darsteller:innen: Meltem Kaptan, Alexander Scheer

Altersempfehlung (FSK): Ab 6 Jahren

Meine Altersempfehlung: Ab 10 Jahren